Rede im Deutschen Bundestag: Housing-First-Ansatz in der Wohnungslosenhilfe
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute einen Antrag der Linken. Wir haben bisher gesehen, dass in vielerlei Hinsicht über die Fraktionsgrenzen hinweg Übereinstimmung besteht. Auch wir sehen gemeinsam mit unseren Kollegen der Ampelkoalition den Housing-First-Ansatz grundsätzlich als positiv an.
Statistisch gesehen sind die häufigsten Gründe für Wohnungs- und Obdachlosigkeit Mietschulden oder Mietzahlungsschwierigkeiten. Mit vielen der Betroffenen meint es das Schicksal nicht gut. Sie können ihren finanziellen Verpflichtungen oft nicht mehr nachkommen, obwohl sie es in vielen Fällen gerne tun würden. Obdach- und Wohnungslosigkeit ist in Deutschland kein Randphänomen. Sie ist pure Realität und betrifft viele Menschen auch mitten in der Gesellschaft; 263 000 Menschen in Deutschland sind ohne eigene feste Wohnung. Dieses Problem wollen wir als Koalitionsfraktionen aktiv angehen. Daher hat die Ampelkoalition im letzten Jahr erstmals einen Wohnungslosenbericht vorgelegt, um eine statistische Grundlage für das weitere Regierungshandeln zu haben.
Der Housing-First-Ansatz ist ein gutes Instrument, um langfristig eine Struktur der Wohnungshilfe aufzubauen. Wir haben diesen Ansatz ja auch im Koalitionsvertrag vereinbart, weil wir ihn gemeinsam für richtig halten.
Dass die Wohnung die Grundlage für ein Arbeitsverhältnis oder auch die Reintegration in die Gesellschaft ist, ist uns allen klar. Der Housing-First-Ansatz hat in den USA und in Finnland gezeigt, dass es möglich ist, Menschen ohne Wohnung langfristig zu helfen. Ich gehöre auch zu der Gruppe, die der Bauministerin für die Reise nach Finnland dankbar ist; auch ich werde daran teilnehmen und freue mich über den Austausch darüber.
Auch die Finanzierung für den nationalen Aktionsplan Wohnungs- und Obdachlosigkeit haben wir gesichert. Denn nur wer die Zahlen, Herausforderungen und Eigenheiten des Problems kennt, kann es auch angehen.
Sie sehen: Wir unternehmen viel, um Wohnungs- und Obdachlosen in Deutschland zu helfen. Auch in der vergangenen Legislaturperiode haben wir als FDP-Fraktion viele Anträge eingebracht und Initiativen gestartet, um
die Herausforderungen anzugehen. So wollen wir beispielsweise zur effektiven Bekämpfung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit gemeinsam mit den Kommunen sogenannte One-Stop-Shops einrichten. Sie sollen als zentrale Servicestelle für Hilfesuchende alle relevanten Leistungen unter einem Dach anbieten und dem Betroffenen an einer Stelle zugänglich gemacht werden, ohne dass dieser zwischen verschiedenen Behörden in Kommune oder Kreis hin- und herpendeln muss. Hierbei sollen besondere lokale Gegebenheiten deutscher Kommunen beachtet, und es soll nichts von oben übergestülpt werden, was vor Ort nicht notwendig ist.
Aber lassen Sie mich eines auch im Hinblick auf die Wahlen in Berlin am Sonntag deutlich sagen: Man kann nicht den Neubau von Wohnungen wie beispielsweise am Tempelhofer Feld oder in den Berliner Kiezen verhindern oder nicht durchführen und sich gleichzeitig hierhinstellen, um den Wohnungsmangel zu beklagen.
Lassen Sie uns gemeinsam mehr bauen! Denn wer in Deutschland Wohnungen verteilen will, muss sie erst einmal bauen. Wir haben schlichtweg nicht genug davon. Zuwanderung, Kriegsflüchtlinge, der Zuzug in Ballungsgebiete – das alles sind Herausforderungen, die nur eine Antwort kennen: Bauen, bauen, bauen
Daher halten wir es für sinnvoll, auch die von Ihnen so verteufelten privaten Vermieter in die Lösung der Problematik einzubeziehen. Denn 80 Prozent des Wohnraums in Deutschland ist privat. Die Anmietung auch teurer Wohnungen ist sowohl für die Heilung und Reintegration der Betroffenen förderlicher als auch für die Kostenträger günstiger als die Anmietung von Hotels oder die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Wir Freie Demokraten fordern daher, die privaten Vermieter bei dieser gesellschaftlichen Aufgabe stärker einzubinden.
Neben der Möglichkeit von Trägerwohnraum und der Einbeziehung privater Vermieter wird es auch Fälle geben, in denen wir sozialen Wohnungsbau benötigen werden. Für die Menschen, die sich beispielsweise wegen ihrer psychischen oder gesundheitlichen Erkrankungen und Einschränkungen niemals auf dem freien Wohnungsmarkt versorgen können, brauchen wir besondere Hilfe. So wie wir Freie Demokraten ihn uns vorstellen, unterstützt der soziale Wohnungsbau dann tatsächlich die sozial Schwachen. Sowohl kommunale Wohnungsunternehmen wie auch private Bauherren können sozialen Wohnungsbau anbieten. Die Verantwortung liegt nach wie vor bei den Bundesländern, und nach der letzten Grundgesetzänderung kann der Bund jederzeit Unterstützung leisten.
Sie merken: Wir haben viele gute Konzepte und Ideen. Lassen Sie uns die Arbeit machen! Wir sind dabei, und Sie werden sicherlich überrascht sein. Der Antrag der Linken spricht im Prinzip ein wichtiges Thema an, setzt unserer Meinung nach aber die falschen Anreize und auf falsche Konzepte. Wir werden ihn, worüber Sie wahscheinlich nicht verwundert sein werden, deshalb ablehnen.